Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde
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Mallorca ohne Flugzeug!

© HNEE Wolfgang Strasdas


Unterwegs auf der Tagfähre von Toulon nach Alcúdia: Gut zehn Stunden über das blaue Mittelmeer, das erstaunlich groß und weit ist – stundenlang ist überhaupt kein Land zu sehen.
© HNEE/ Wolfgang Strasdas

Alljährlich findet eine Fachexkursion im Rahmen des Studiengangs Nachhaltiges Tourismusmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde statt. In diesem Jahr trafen sich die knapp 40 Studierenden in Mallorca, um dort Massentourismus, seine Probleme und Steuerungsansätze zu studieren. Im Vorfeld hatten sich einige Studierende beschwert, dass eine Exkursion in eine Destination angeboten wird, die man nur mit dem Flugzeug erreichen kann. Das nahm der Studiengangsleiter Prof. Dr. Wolfgang Strasdas zum Anlass, das Gegenteil zu beweisen, und reiste mit Zug und Fähre an und wieder ab. Seine Erlebnisse können Sie in der Facebook-Story nachlesen und zugleich erfahren wie viel Emissionen man einsparen kann, wenn man nicht mit dem Flugzeug reist:

"Als wir unseren Studierenden mitteilten, dass die diesjährige Exkursion nach Mallorca gehen würde, gab es Proteste. In einem Studiengang namens Nachhaltiges Tourismusmanagement sei es nicht vertretbar, ein Exkursionsziel auszuwählen, das man nur mit dem Flugzeug erreichen könne. Das stachelte meinen Ehrgeiz an! Dass man an einem Tag von Berlin nach Marseille mit der Bahn fahren kann, wusste ich schon. Der entscheidende Hinweis, wie es weitergehen könnte, kam von einem französischen Kollegen: Fähre von Toulon nach Alcúdia auf Mallorca. Also machte ich mich ans Recherchieren und buchte meine Reise. Und die sah so aus:

Am Freitagmorgen zu Fuß mit dem (zugegebenermaßen verhassten) Rollkoffer zum Bahnhof Gesundbrunnen. Von dort erst mit dem Regionalexpress, dann mit dem ICE nach Frankfurt. Wegen der knappen Umsteigezeit von 14 Minuten war ich etwas nervös, aber es klappte. In rasendem Tempo brachte mich der französische TGV durch das Elsass und das Rhône-Tal in 8 Stunden nach Marseille – eine meiner Lieblingsstädte: dreckig und schön, kreativ und multikulturell wie Berlin, nur eben am Mittelmeer! Kleiner Spaziergang und Jazzkonzert am Abend in der Caravelle Bar am Alten Hafen.

Aufgewacht am nächsten Morgen mit Blick auf den afrikanisch-arabischen Gemüsemarkt und noch viel Zeit, durch altbekannte Stadtviertel zu bummeln, u.a. das alternative Szeneviertel um den Cours Julien. Dann ging es mit der Regionalbahn weiter nach Toulon. Im Hafen lagen schon mehrere der großen gelb-weißen Fährschiffe von Corsica Ferries. Einchecken in die Kabine und schon gleitet das Schiff langsam hinaus auf das offene Mittelmeer. Am nächsten Tag die Berge von Mallorca im Morgenlicht; ein Tee in der ersten Bar, die geöffnet hat; nach einiger Sucherei den Bus nach Palma gefunden und 48 Stunden nachdem ich meine Berliner Wohnung verlassen habe, erreiche ich die Jugendherberge, wo nach und nach die Studierenden und die Kolleg*innen eintrudeln.

Naturgemäß war die Rückfahrt weniger spannend, außer dass ich diesmal die Tagfähre von Alcúdia nach Toulon genommen habe. Gut 10 Stunden über das blaue Mittelmeer, das erstaunlich groß und weit ist – stundenlang ist überhaupt kein Land zu sehen. Man bekommt eine Ahnung davon, wie gefährlich es sein muss, wenn Menschen versuchen, dieses Meer mit kleinen Booten zu überqueren …

Noch eine Nacht in Marseille, dann ging es in 12 Stunden und ohne Komplikationen zurück nach Berlin – an einem Tag durch ganz Frankreich und ganz Deutschland!

Warum ich diese Reise gemacht habe? Vor allem aus Klimaschutzgründen natürlich. Ich wollte im „Selbstexperiment“ zeigen, dass es möglich ist, innerhalb von Europa ohne Flugzeug zu reisen. Im Vergleich zur Flugreise (ca. 1,2 Tonnen CO2-e-Emissionen (1) lag meine Bilanz bei 338 kg, wobei jedoch die mit Schweröl betriebene Fähre ein Problem darstellt. Bis Toulon war meine Reise dank (öko-) strombetriebener Hochgeschwindigkeitszüge fast klimaneutral (2).

Die üblichen Einwände, es sei mit dem Flugzeug nicht nur schneller, sondern auch billiger, kann ich bei sechs täglichen Direktflügen von Berlin nach Mallorca mit Low-Cost Airlines natürlich nur teilweise entkräften. Beginnen wir mit den Kosten: Die Fahrkarte Berlin – Marseille und zurück kostete mit dem „Super Sparpreis EU“ in der 1. Klasse nur 180 EUR, die Fährfahrt hin und zurück 140 EUR (mit Einzelkabine während der Nachtfahrt), plus noch einmal knapp 40 EUR für den ÖPV zwischen Marseille und Toulon und auf Mallorca; insgesamt also 360 EUR für die gesamte An- und Abreise, etwa dreimal so viel wie das Flugzeug, aber mit hohem Komfortfaktor. Ehrlicherweise muss ich an dieser Stelle noch die 140 EUR für die beiden Übernachtungen in Marseille erwähnen, doch habe ich dafür eben auch noch Zeit in Marseille verbracht und ein weiteres Reiseziel auf dem Weg besucht.

Zum Zeitargument: Hier stehen pro Strecke zwei ganze Tage einem 2,5-stündigen Flug gegenüber, zu dem man jedoch noch zwei Flughafen-Transfers und die Wartezeiten vor und nach dem Flug hinzurechnen muss. Die Bahnfahrt in der 1. Klasse sehe ich demgegenüber als „rollendes Büro“ an und auch die Schifffahrt tagsüber nutzte ich für die Erledigung lange liegen gebliebener Aufgaben, u.a. für das Lesen einer spannenden Masterarbeit über Nachhaltigkeits-Reporting in der Kreuzfahrtindustrie!

Und noch ein Argument: Neben dem wohligen Gefühl eines (fast) reinen Gewissens hat mich diese Reise an alte Zeiten erinnert, als ich auf diese Weise als Backpacker unterwegs war, nicht nur weil Fliegen damals indiskutabel teuer war, sondern auch wegen des langsamen, intensiven Ankommens in anderen Ländern: die Überquerung des Rheins, die ersten weißen Felsen der Provence, die Weite des Meeres, die Ankunft in einer nachtschlafenden Hafenstadt an einem Sonntagmorgen …

Eines muss aber auch klar sein: Allein der Umstand, dass eine Reise, die früher ganz normal war, heute eine Pressemitteilung wert ist oder als „Challenge“ kommuniziert wird – eben weil kein Mensch mehr so reist – zeigt, dass wir als Gesellschaft mit Appellen an freiwillige Verhaltensänderungen nicht weiterkommen. Meine Hoffnung, gegenüber unseren Studierenden eine Vorbildwirkung zu entfalten, ist kläglich gescheitert – alle sind geflogen! Ohne klare Preissignale wird es kein klimafreundliches Reisen geben."


von Wolfgang Strasdas, Zentrum für Nachhaltigen Tourismus, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.


Prof. Dr. Wolfgang Strasdas
Studiengangs- und Forschungsleiter
Zentrum für Nachhaltigen Tourismus (ZENAT)
Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde
Fachbereich Nachhaltige Wirtschaft
Schicklerstr. 5, D-16225 Eberswalde
Tel. 03334/657-304

www.hnee.de/tour, www.zenat-tourismus.de 


[1] Quelle: atmosfair

[2] Berechnung: Berlin – Kehl –Berlin: 3 kg (Quelle: DB UmweltMobilCheck), Strasbourg – Toulon – Strasbourg: 7,1 kg (Quelle. SNCF); Toulon – Alcudia – Toulon = 1.037 km x 310 g/pkm (Quelle: Österreichisches Umweltzeichen)